wz vom 23.10.01

Seltsame Reisebekanntschaften

Lesung über D-Züge, Zugvögel und Charakterzüge im Nordbahnhof

“Bitte Einsteigen und die Türen schließen”, hieß es am Sonntagabend seit langer Zeit wieder im Nordbahnhof. Mit dieser Aufforderung eröffneten Michaela Kura und Renate Berg aus Neuss ihre Lesung, mit dem Titel Zugeständnisse, die passender Weise im Blauen Waggon stattfand. Ausgefüllt war das Reiseprogramm mit ernsten Kurzge- schichten, besinnlichen Gedichten und humorvollen Anekdoten.

“Die Werke haben alle mit Zügen zu tun”, so Renate Berg, die jüngst ihren ersten Er- zählband Hexe und Harlekin veröffentlichte: “Dabei können D-Züge, aber auch ein Aufzug oder Gesichtszüge im Vordergrund stehen.” Untermalt von Bahnhofsdurchsagen und Zuggeräuschen entführen die beiden Autorinnen ihr Publikum nach Mönchengladbach und Düsseldorf, in verschiedene Abteile mit skurrilen Charakteren und setzen sie am Ende der Reise auf dem Abstellgleis ab. “Wir möchten Alltägliches auf ungewöhnliche Weise wiedergeben”, erklärt Michaela Kura, deren Gedichte bereits in Anthologien veröffentlicht worden sind: “Bekannte Situationen wie die, neben einem ungeliebten Platznachbarn auszuharren, sollen den Zuhörern unbekümmert den Spiegel vorhalten.” Die alte Bahnhofsatmosphäre heraufzubeschwören, als der Nordbahnhof noch Aus- gangspunkt für einen Ausflug nach St. Tönis oder zum Hülser Berg war, liegt auch Besitzer Victor Furth am Herzen: “Ich unterstütze sehr gerne Künstler, die sich mit Zügen oder Bahnhöfen und ihrem Flair beschäftigen. So hat er kürzlich ein von Herbert Zangs entworfenes Seidentuch zum Thema Schluff in Auftrag gegeben. “Die Texte der Lesung haben mir besonders gut wegen ihrer Wortspielereien um den Begriff Zug ge- fallen.”

Auch das Publikum zeigte sich begeistert: “Ich bin beeindruckt von der Feinfühligkeit, die in den Kurzgeschichten vorherrscht und von der sensiblen Vortragsweise”, lobt Sebastion Sabors aus Dormagen. Sandra Rahn aus Düsseldorf ist fasziniert von den Räumlichkeiten: “Es ist toll, wenn man über ein Thema direkt vor Ort berichten kann, das macht alles viel lebendiger.”

von Saskia Fetten